Dossier: Unzulässige Asylanträge nach § 29 AsylG

Abschiebungen nach Griechenland

           

Mein Mandant/meine Mandantin befürchtet eine Abschiebung nach Griechenland und hat dort bereits eine Anerkennung erhalten.. Werden zurzeit Abschiebungen dorthin vorgenommen? Wie kann man den betreffenden Personen helfen?

 

Betreffende Norm – § 29 AsylG

Nach § 29 I Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat.

Unzulässigkeit bedeutet, dass der Asylantrag gar nicht erst auf seine Begründetheit geprüft, sondern direkt abgewiesen wird.

 

Hintergrund

Die Lage für Geflüchtete, die einen Schutzstatus in Griechenland erhalten haben, ist äußerst kritisch – unmittelbar nach Anerkennung werden die betroffenen Personen aus den Unterkünften geworfen, in denen sie sich während des Asylverfahrens aufgehalten hatten. Gleichzeitig werden auch sämtliche Leistungen eingestellt; dies dokumentiert ein Bericht von Pro Asyl und RSA.[1] Die Geflüchteten landen somit massenweise in der Obdachlosigkeit; staatliche Hilfsmaßnahmen gibt es keine.

Durchgesetzt hat sich das Schlagwort „Brot, Bett und Seife“ aus einem Lüneburger Gerichtsurteil, da diese als elementarste menschliche Bedürfnisse in Griechenland nicht mehr erfüllt werden können.

 

Rechtliches

 

Urteile vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg vom 19. April 2021, Aktenzeichen 10 B 244/20 und 10 LB 245/20: Grundlage des Urteils waren die Asylverfahren zweier syrischer Schwestern. Diese waren als unzulässig abgelehnt worden – ohne inhaltliche Prüfung – weil ihnen in Griechenland bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war. Gegen diesen Bescheid richteten die Schwestern Klage ein; sie kamen damit bis zum Oberverwaltungsgericht, wo ihrer Klage stattgegeben wurde.

Als Begründung führte der Senat auf, dass den beiden Frauen nach der Rücküberstellung nach Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit drohte. Ebenfalls würden sie in der Praxis keinen Zugang zu elementaren Leistungen erhalten, ohne auf ausreichende Unterstützung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite hoffen zu können. Aufgrund von bürokratischen und tatsächlichen Hindernissen sei es ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht möglich, durch eigene Erwerbstätigkeit die finanziellen Mittel zu verschaffen und sich mit für das Überleben notwendigen Gütern zu versorgen. Eine Rückkehr nach Griechenland würde die Rechte der Klägerinnen aus Art. 4 GRCH (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) und Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) verletzen.

Das Urteil stellt also fest, dass sowohl eine Rücküberstellung nach Griechenland sowie eine Ablehnung von Asylverfahren ohne inhaltliche Prüfung nicht zulässig ist.

 

Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vom 21. Januar 2021, Aktenzeichen 11 A 1564/20.A: Auch hier urteilte das Gericht zugunsten der Kläger unter Berufung auf die Tatsache, dass bei einer Rückkehr nach Griechenland keine lebenswürdigen Bedingungen für die dort anerkannten Personen zu finden sei.

 

Bekräftigt werden diese Urteile durch Entscheidungen des EuGH aus dem Jahr 2019 (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/1 und EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17) sowie weitere nationale Rechtsprechung, bspw. VG Ansbach, Urteil v. 23.07.2020 – AN 17 K 19.50826).

 

Was ist zu beachten?

Die Entscheidung über die Unzulässigkeit nach § 29 AsylG ist nicht zu verwechseln mit dem Dublin-Verfahren. Während es bei dem Dublin-Verfahren darum geht, welcher europäische Mitgliedsstaat zuständig für den Asylantrag ist, geht es bei einer Unzulässigkeit nach § 29 AsylG darum, dass ein Asylantrag in Deutschland nicht mehr geprüft wird, wenn der Antragsteller woanders bereits erfolgreich ein Asylverfahren durchlaufen und internationalen Schutz erhalten hat.

Was entscheidet der BAMF?

Angesichts der Entwicklung der oben geschilderten Rechtlage hatte der BAMF seit 2019 einen Entscheidungsstopp für Asylanträg verhangen, denen bereits in Griechenland internationalen Schutz gewährt wurde (auch sog. „Rückpriorisierung“). Er entschied sich dabei sogar gezielt gegen die Umsetzung gerichtlicher Urteile.[2]

Dies wurde im April dieses Jahres aufgehoben.[3] Antragsteller, die also seit längerem auf eine Entscheidung des BAMFs hierzu gewartet haben, könnten jetzt eine Antwort bekommen.

 

Wie geht es nun weiter?

Dies heißt nicht, dass der BAMF diese Fälle positiv bescheiden wird oder muss. Der BAMF prüft oben genannte Asylanträge zwar wieder auf ihre Begründetheit, ist aber nicht an die Entscheidung aus Griechenland gebunden – es kann daher zu einem abweichenden Ergebnis kommen, sodass zwar in Griechenland internationaler Schutz gewährt wurde, in Deutschland der Asylantrag aber abgelehnt wird oder ein schlechterer Schutzstatus gewährt wird. Ob das rechtlich zulässig ist, ist umstritten.

Sollte der Asylantrag in Deutschland komplett abgelehnt werden, ist der Antragsteller zwar grundsätzlich vor einer Abschiebung in sein Heimatland geschützt; unter gewissen Bedingungen kann sogar die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Flüchtlingspasses nach Deutschland übertragen werden, sodass der Antragsteller in Deutschland bleiben darf.[4] Dies gilt allerdings nicht für Asylsuchende, die in Griechenland subsidiären Schutz erhalten haben – hier kann eine Abschiebung in den Heimatstaat leider nicht ausgeschlossen werden.

 

Gilt das nur für Griechenland?

Asylanträge, bei denen der Antragsteller in einem anderen Land als Griechenland internationalen Schutz bekommen hat, werden immer noch nach § 29 AsylG als unzulässig abgelehnt (bspw. bei Anträgen aus Rumänien). Regelmäßig wird das BAMF,  und auch (bei anschließenden Klagen) das Gericht die Überzeugung ablehnen, dass in dem jeweiligen europäischen Land systemische Mängel herrschen, die eine Prüfung trotz der Regelung des § 29 AslG nach sich ziehen würden. Da auch die EuGH-Urteile sich (bis jetzt) nur auf Griechenland beziehen, ist leider erst einmal nicht davon auszugehen, dass die Praxis nun auch auf Antragsteller aus anderen Ländern angewendet wird.

 

 

 

 

 

 

[1] https://www.proasyl.de/news/anerkannte-fluechtlinge-in-griechenland-mit-kind-und-kegel-auf-der-strasse/

[2] https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/20210511_BAMF-internes-Rundschreiben-Griechenland-Ablage-Umgang-Untaetigkeitsklagen.pdf

[3] https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/20220331_BAMF-an-OVGs-Wiederaufnahme-Entscheidungen-BIPs-Griechenland.pdf

[4] VG Minden, Urteil vom 07.12.2021 – 7 K 2885/20.