Hintergrund
Seit Anfang 2022, als der Krieg in der Ukraine sich deutlicher abzuzeichnen begann, sind etwa 420.000 bis 500.000 russische Staatsbürger aus ihrem Heimatland geflohen.[1] Darunter fallen auch viele Männer, die – je nach Zeitpunkt – sich dem Militärdienst entzogen haben, desertiert sind oder nach Bekanntmachung der Teilmobilmachung das Land verlassen haben.
Folgende Unterscheidungen sollte man dabei machen:
Deserteur ist, wer bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten hat und anschließend auf illegalem Wege ausreist, um sich dem Militärdienst zu entziehen – legal kann das Land dann nicht mehr verlassen werden.
Kriegsdienstverweigerer ist, wer im Rahmen eines formalen Antragsverfahrens gegenüber den russischen Behörden die Kriegsdienstverweigerung erklärt. Dies kann allerdings nur vor Einberufung erklärt werden; außerdem ist das Militär selbst an der Entscheidung über den Antrag beteiligt.
Militärdienstentzieher sind bereits vor Einberufung legal ausgereist und unterlägen bei ihrer Rückkehr der Teilmobilmachung. Dies ist allerdings viel schwerer zu beweisen, da zum Zeitpunkt der Ausreise noch keine Einberufung vorlag.[2]
Strafrechtlich verfolgt werden Deserteure und Militärdienstentzieher. Gerade nach der Teilmobilmachung wurden in Russland die Strafen für Desertion, Fahnenflucht, Befehlsverweigerung u.ä. erhöht, sodass nun bis zu 15 Jahre Haft verhängt werden können.[3]
Chancen auf Asyl
Die Aufnahme russischer Militärdienstentzieher und Deserteure wirkte zunächst auch politisch zumindest in Deutschland gewollt. Die praktische Umsetzung gestaltet sich allerdings schwieriger; denn um Asyl aufgrund von politischer Verfolgung geltend machen zu können, darf man nicht über einen sicheren Drittstaat eingereist sein. Dieser Anwendungsbereich lässt sich indes mit der Praxis nicht vereinbaren; Direktflüge aus Russland in die EU sind eingestellt und überhaupt gestaltet sich die Einreise in die EU schwierig.
Das Bundesinnenministerium verkündete noch im Mai, dass zwar Deserteure bei Glaubhaftmachung die Flüchtlingsanerkennung zugesprochen werden kann (im Rahmen einer Einzelfallprüfung), bei Militärdienstentziehern ist die Lage allerdings unklarer.[4]
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der BAMF also jeden Fall genau überprüfen und es – wie sonst auch – auf die konkrete und individuelle Nachweisbarkeit ankommen wird. Kann der Antragsteller nachweisen, dass er im Rahmen seines Militärdienstes gezwungen sein wird, an Kriegsverbrechen teilnehmen zu müssen, so müsste ihm Asyl gewährt werden.[5] Wie der BAMF in der Praxis entscheiden wird, steht allerdings noch offen. Zu beachten ist, dass auch hier das Dublin-System greifen wird – ist ein Antragsteller über Finnland eingereist oder besitzt ein in Finnland ausgestelltes Visum, so ist Deutschland nach den Grundsätzen des Dublin-Verfahrens zunächst nicht zuständig.
Eine weitere Sammlung von Ausführungen internationaler Quellen unter: https://www.ecoi.net/de/dokument/2071763.html
[1] https://www.proasyl.de/news/sie-wollen-nicht-toeten/, aufgerufen am 9. 11. 2022.
[2] https://www.proasyl.de/hintergrund/kriegsdienstverweigerung-und-desertion-belarus-russische-foederation-und-ukraine/, aufgerufen am 9.11. 2022.
[3] https://www.derstandard.de/story/2000139387869/putin-setzt-gesetz-ueber-strafen-fuer-deserteure-in-kraft, aufgerufen am 9.11.2022
[4] https://de.connection-ev.org/pdfs/2022-05-17_IM.pdf, aufgerufen am 9. 11. 2022.
[5] Vgl. Entscheidung des EuGH, C-472/13, 26.2.15.
Autorin Emili Rauenbusch