Wissen: Asylverfahren, Duldung und Abschiebung bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten

1. Hintergrund

 

Die Rückführung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten stellt aufgrund unterschiedlicher Aspekte für die betroffenen Personen eine große Belastung dar. Mit einer Ablehnung des Asylverfahrens kommt es häufig zu einer paradoxen Situation, in der die Betroffenen abgeschoben werden sollen, dies jedoch erst nach dem 18 Lebensjahr vollzogen wird, da die Situation im Herkunftsland oftmals den Anforderungen nicht standhält, um die Sicherung des Kindeswohls zu gewährleisten. Ein EUGH-Urteil aus 2021 greift dieses Paradoxon auf und stärkt die rechtliche Position der Betroffenen. Auf die Besonderheiten im Asylverfahren von unbegleiteten Minderjährigen Geflüchteten soll im Folgenden näher eingegangen werden.

 

 

2. Asylantrag

 

Für unbegleitete Minderjährige, die in Deutschland ankommen, muss ein Vormund oder eine Pflegerin bzw. ein Pfleger bestellt werden. Das Familiengericht entscheidet über die Vormundschaft, die normalerweise bis zur Volljährigkeit des Minderjährigen besteht. Die Volljährigkeit richtet sich nach dem Recht des Herkunftslandes des Minderjährigen. Nach diesem Recht endet die Vormundschaft, wenn die Volljährigkeit erreicht ist.

 

In einem sogenannten Clearingverfahren nach § 42 Abs. 2 SGB VIII werden weitere Schritte unternommen, um Fragen im Zusammenhang mit dem Jugendhilferecht und dem Aufenthaltsrecht zu klären. Der Aufenthaltsstatus wird dabei überprüft, um zu entscheiden, ob ein Asylantrag gestellt werden soll. Wenn das Asylverfahren nicht erfolgversprechend ist, kann eine Duldung von der Ausländerbehörde ausgestellt werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, wenn ein Asylantrag gestellt wird.

 

Im Asylverfahren können unbegleitete Minderjährige Geflüchtete, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, ihren Asylantrag nicht selbst stellen. Unabhängig vom Recht des Herkunftslandes gelten als nicht volljährig. Minderjährige unter 18 Jahren gelten im Asylverfahren als nicht handlungsfähig und müssen ihren Asylantrag schriftlich über das Jugendamt oder den Vormund stellen. Der Vormund kann das Asylverfahren jedoch auch nach erlangen der Volljährigkeit weiterhin begleiten.1

 

 

3. Ablehnung im Asylverfahren

 

Geregelt wird die Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen Ausreisepflichtigen vor Erreichen der Volljährigkeit durch § 58 Abs. 1a des Aufenthaltsgesetzes. Diese Vorschrift besagt, dass die Abschiebung nur möglich ist, wenn der Minderjährige im Zielland einer geeigneten Einrichtung oder einer sorgeberechtigten Person übergeben werden kann. Aufgrund des Schutzes der Minderjährigen sind die Anforderungen an diesen Nachweis sehr hoch und werden in der Praxis oft nicht erfüllt. Dennoch werden Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen durchgeführt.2

 

Kommt es zu einer Ablehnung im Asylverfahren, kann vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden. Es gibt unterschiedliche Klagefristen: Bei einer normalen Ablehnung beträgt die Frist zwei Wochen, während bei einer als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag nur eine Woche Zeit bleibt. Neben der Klage muss auch die aufschiebende Wirkung beantragt werden.3

 

 

4. Duldung

 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 14. Januar 20214, dass die Niederlande gegen EU-Recht verstoßen, indem sie bei unbegleiteten Minderjährigen Asylsuchenden keine Prüfung durchführen, ob im Rückführungsland eine geeignete Aufnahmemöglichkeit besteht. Im konkreten Fall eines über 15-jährigen Asylbewerbers aus Guinea lehnten die niederländischen Behörden seinen Antrag ab und setzten dies mit einer Rückkehrentscheidung gleich. Der EuGH betonte, dass vor einer solchen Entscheidung immer geprüft werden muss, ob eine Aufnahmemöglichkeit im Rückführungsland vorhanden ist. Zudem muss eine Abschiebung schnellstmöglich erfolgen und darf nicht auf die Volljährigkeit des Betroffenen gewartet werden. Das Vorgehen der Niederlande wurde daher als Verstoß gegen EU-Recht angesehen.5

 

Die Entscheidung basierte auf dem Schutz des Kindeswohls und betont, dass die Möglichkeit der Abschiebung vor einer Rückkehrentscheidung geprüft werden muss.

 

Eine solche Entscheidung würde Minderjährige in große Unsicherheit bezüglich ihrer Rechtsstellung und Zukunft versetzen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf bei der Ablehnung des Asylantrags von unbegleiteten Minderjährigen nicht mehr direkt eine Rückkehrentscheidung treffen, ohne die tatsächliche Abschiebungsmöglichkeit geprüft zu haben. Wenn eine Abschiebung nicht möglich ist, könnten den Minderjährigen nun eine Aufenthaltserlaubnis zustehen. Die genaue Umsetzung dieser neuen Rechtsprechung in Deutschland erfordert weitere Analyse.6

 

 

5. Von der Duldung zum Aufenthaltstitel

 

Die Duldung ist ein vorübergehender Aufenthaltsstatus, der Personen gewährt wird, deren Aufenthalt in Deutschland aus verschiedenen Gründen nicht legal ist. Für unbegleitete Minderjährige und junge Volljährige gibt es jedoch Wege, um ihre Bleibeperspektive zu verbessern und einen Aufenthaltstitel zu erhalten.

 

Eine der Möglichkeiten ist die sogenannte „Ausbildungsduldung“. Diese Regelung ermöglicht es jungen Menschen, die sich in einer Ausbildung befinden oder eine abgeschlossene Ausbildung haben, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Voraussetzung dafür ist, dass die Ausbildung den gesetzlichen Anforderungen entspricht und ein Arbeitsplatzangebot vorliegt. Die Ausbildungsduldung ermöglicht es den Betroffenen, während ihrer Ausbildung legal in Deutschland zu bleiben und im Anschluss daran die Möglichkeit einer weiteren Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.

 

Ein weiterer Weg zur Erlangung eines Aufenthaltstitels ist die „besondere Aufenthaltsregelung“ gemäß § 25a des Aufenthaltsgesetzes. Diese Regelung richtet sich an junge Volljährige, die sich seit mindestens vier Jahren in Deutschland aufhalten, hier ihre Schulbildung abgeschlossen haben und über gute Deutschkenntnisse verfügen. Es wird eine Prognose für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft gestellt. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können junge Erwachsene eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, die ihnen eine langfristige Perspektive in Deutschland bietet.

 

Darüber hinaus können auch individuelle Härtefallregelungen Anwendung finden. In besonders schwerwiegenden persönlichen Härtefällen kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Diese Regelungen erfordern jedoch eine individuelle Prüfung durch die Ausländerbehörden und setzen strenge Voraussetzungen voraus.7

 

 

6. Fazit

 

Es lässt sich folgendes Festhalten:

 

– Bei unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland wird ein Vormund bestellt, und ein Clearingverfahren wird durchgeführt, um über die Einreichung des Asylantrags zu entscheiden.

– Bei einer Ablehnung im Asylverfahren kann vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden, jedoch müssen die kurzen Fristen beachtet werden.

– Die Abschiebung von minderjährigen Asylsuchenden ist nur möglich, wenn im Zielland eine geeignete Einrichtung oder eine sorgeberechtigte Person vorhanden ist.

– Eine Duldung ist ein vorübergehender Aufenthaltsstatus, aber es gibt Wege, um einen Aufenthaltstitel zu erhalten, wie z.B. die Ausbildungsduldung, die besondere Aufenthaltsregelung und individuelle Härtefallregelungen.

– Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betont den Schutz des Kindeswohls und dass die Abschiebung vor einer Rückkehrentscheidung geprüft werden muss. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss die tatsächliche Abschiebungsmöglichkeit prüfen, bevor eine Rückkehrentscheidung getroffen wird.

 

 

Quellen:

1. „Unbegleitete Minderjährige“, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgerufen am 08.06.2023 unter https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/UnbegleiteteMinderjaehrige/unbegleiteteminderjaehrige-node.html

2. „Abschiebung und unbegleitete Minderjährige“, Flüchtlingsrat NRW e.V. aufgerufen am 08.06.2023 unter https://www.nds-fluerat.org/themen/kinder-jugendliche-und-umf/abschiebung-und-unbegleitete-minderjaehrige/

3. „Asylverfahren“, Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) aufgerufen am 08.06.2023 unter https://b-umf.de/p/asylverfahren-2/

4. EUGH-Urteil vom 14. Januar 2021 https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=236422&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

5. „Keine Unterscheidung nach Alter bei Rückführung Minderjähriger“, Legal Tribune Online (LTO) aufgerufen am 08.06.2023 unter https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eugh-c441-19-rueckfuehrung-minderjaehrige-unterscheidung-alter-niederlande/

6. „EuGH stärkt die Rechte von unbegleiteten Minderjährigen!“, Pro Asyl aufgerufen am 08.06.2023 https://www.proasyl.de/news/eugh-staerkt-die-rechte-von-unbegleiteten-minderjaehrigen/

7. Julian Tangermann und Paula Hoffmeyer-Zlotnik: Unbegleitete Minderjährige in Deutschland, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), 2018. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/EMN/Studien/wp80-unbegleitete-minderjaehrige.html?nn=282022 S. 71-73