Dossier: Recherche zum Thema Kirchenasyl

Dieser Beitrag widmet sich inhaltlich folgenden Fragen:

  • Was ist Kirchenasyl?
  • Inwiefern kann sich also Kirchenasyl nachteilig für den ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen auswirken?
    • Hinsichtlich der Verlängerung der Überstellungsfrist i.S.d. Dublin III-Verordnung
    • Hinsichtlich der Arbeitserlaubnis
    • Hinsichtlich der AOK-Karte
  • Können wir als Beraterinnen und Berater Kirchenasyl vermitteln und dürfen wir das?

 

Was ist Kirchenasyl?

Ausreisepflichtige Drittstaatsangehörige können nach einem erfolglosen Asylverfahren (+ggf. erfolglosen Petitionsverfahren/Härtefallersuchen) von einer Kirchengemeinde Kirchenasyl gewährt bekommen. Zunächst gilt es dabei zu verstehen, dass Kirchenasyl kein gesetzlich normiertes Prinzip ist und nicht unter das Asylrecht aus Art.16a GG fällt, sodass es rechtlich auch keinen „Anspruch auf Kirchenasyl“ gibt; vielmehr birgt die Umsetzung rechtlich einige Probleme. Denn es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Kirchenasyl als Ausdruck „karitativ orientierter, tätiger Nächstenliebe“[1] seitens der Kirche und dem Vollzug des Aufenthaltsrechts seitens des Staates. Dementsprechend ist grundsätzlich jede private/nicht-staatliche Asyl-Gewährung ein Akt gegen das Gewaltmonopol des Staates, welcher individuelle Überzeugungen über das staatlich geltende Recht stellt.[2]Dennoch darf bei der Beurteilung auch die Bedeutung der eigentlichen Intention der jeweiligen Kirchengemeinden nicht außer Betracht bleiben, die primär eine möglichst humanitäre Lösung finden möchten, auch wenn es keine rechtlich anerkannte „Ermächtigungsgrundlage“ zur Gewährung von Kirchenasyl gibt.[3]

In der Praxis wird deshalb unter bestimmten Voraussetzungen die Gewährung von Kirchenasyl hingenommen. Zunächst ist dies an das Vorliegen einer Gefahr für Leib und Leben geknüpft. Darüber hinaus wird die Gewährung von Kirchenasyl insbesondere dann respektiert und der Aufenthalt des Flüchtlings faktisch geduldet, wenn zwischen der Kirchengemeinde und der jeweiligen Ausländerbehörde ein offener Austausch stattfindet (sog. „offenes Kirchenasyl“). In diesen Fällen stellt Kirchenasyl keinen Haftgrund nach § 62 III S. 1 Nr. 2 AufenthG dar und gilt auch nicht als unerlaubter Aufenthalt i.S.d. § 95 AufenthG.[4] Im Unterschied dazu soll bei Kirchenasyl ohne Bekanntgabe des Aufenthaltsortes (sog. „verdecktes Kirchenasyl“) lediglich Zeit gewonnen werden, was dementsprechend auch keine Duldung o.Ä. seitens des Staates begründet.[5]

 

 

Inwiefern kann sich also Kirchenasyl nachteilig für den ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen auswirken?

 

Hinsichtlich der Verlängerung der Überstellungsfrist i.S.d. Dublin III-Verordnung:

Ein Problem im Rahmen der Dublin-III-Verordnung im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl ist insbesondere die Verlängerung der Frist aus Art.29 II S.2 Dublin III-VO. Gemäß dem Wortlaut kommt eine Fristverlängerung für die Überstellung des Ausländers von dem ersuchenden Staat in den zuständigen Staat auf 18 Monate nur dann in Betracht, „wenn die betreffende Person flüchtig ist“. Fraglich ist dementsprechend in diesem Zusammenhang die Auslegung des Begriffs „flüchtig“. Dies hatte der EuGH in der Entscheidung EuGH C‑163/17 (Jawo-Entscheidung) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren i.S.d. Art.267 AEUV bereits 2019 entschieden. Danach schreibt der EuGH insofern verbindlich vor, dass Art.29 II S.2 Dublin III-VO nur dann anwendbar ist, wenn sich die betreffende Person den Behörden „gezielt entzieht“[6] und die Überstellung dadurch (zumindest zeitweise) unmöglich macht.[7] Im zu behandelnden Fall ging es in concreto darum, ob es ausreicht, dass der Betreffende eine ihm zugewiesene Wohnung verlassen hat, ohne dabei die Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, was in besagter Entscheidung als möglich angenommen wurde.[8]

Übertragen auf das Kirchenasyl ergibt sich, dass in Fällen des offenen Kirchenasyls nicht mehr von einem „gezielten Entziehen“ die Rede sein kann, was im Ergebnis dazu führt, dass die Überstellungsfrist nicht verlängert werden kann. Denn in diesen Fällen ist den Behörden der Aufenthaltsort bekannt und sie können jederzeit vollziehen.[9] Vielmehr verzichtet der Staat regelmäßig aufgrund rechtlich unverbindlicher Absprachen mit den Kirchen ganz bewusst auf den Vollzug, was aber wegen der Normhierarchie für die Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs „flüchtig“ unerheblich ist und diese nicht beeinflussen darf.[10] Auch reicht es nicht aus, wenn sich der Betreffende vorsätzlich in Kirchenasyl begibt, gerade um sich dem Zugriff der jeweilig zuständigen Behörde zu entziehen.[11] Diese Ansicht entspricht der allgemeinen Meinung und wurde zudem 2021 durch das Bundesverwaltungsgericht in BVerwG 1 C 42.20 bestätigt.

Hinsichtlich verdeckten Kirchenasyls ist die Frage schon deutlich schwieriger zu beantworten. Man muss jedoch sagen, dass der Ausländer sich in diesen Fällen, vorausgesetzt die subjektive Komponente in Form des Vorsatzes liegt vor, ganz bewusst vor dem Staat versteckt und ihm dadurch eine Vollstreckung tatsächlich unmöglich macht. In diesen Fällen muss wohl ein „flüchtig“ sein angenommen werden.

 

Hinsichtlich der Arbeitserlaubnis:

Die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für den Asylbewerber erfolgt auf dem Ermessenswege (Wortlaut „kann“) durch die Behörde, § 61 II AsylG, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Das könnte der Ermessenspielraum sein, innerhalb dessen das Kirchenasyl dann eine nachteilige Rolle spielt. Wenn die Behörde also behauptet, sie könne aufgrund des Kirchenasyls keine Arbeitserlaubnis erteilen, dann liegt das vielleicht wirklich in ihrem Ermessen. Geprüft wird bei der Entscheidung jedoch vor allem die Arbeitsmarktverträglichkeit und ggf. der Vorrang von Unionsbürgern.[12] Darüber hinaus müssen die Erwägungen im Rahmen des Ermessens durch den Gesetzeszweck gerechtfertigt sein und daher asyl- und aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen.[13] Auch dem Prüfungsumfang unterliegen die privaten Belange des Klägers und das öffentliche Interesse unter Berücksichtigung einwanderungspolitischer Ziele (bei der Quelle kritisierte das VG München die Entscheidung des Landratsamts, sich bei ihrer Ermessensentscheidung ausschließlich auf ein Schreiben des Bayerischen Innenministeriums zu stützen. Im konkreten Fall war das Schreiben auch ein sachlich ungeeignetes Kriterium, aber solche Schreiben könnten ermessenslenkende Vorschriften sein).[14]

Leider ist es gängige Praxis der Behörden die Arbeitserlaubnis von Asylbewerbern mit geringer Bleibeperspektive im Rahmen der Ermessenserwägung abzulehnen, obwohl das im Grunde ein Ermessensfehler ist.

Möglicherweise könnte die Behörde argumentieren, dass das Kirchenasyl auf eine rechtsmissbräuchliche Art und Weise beansprucht wurde und dass es daher dem öffentlichen Interesse entgegensteht, eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Allerdings sollten hier im Grunde eher einwanderungspolitische und arbeitsmarktbezogene Überlegungen im Vordergrund stehen – dort passt das Kirchenasyl als Nichterteilungsgrund eigentlich weniger hinein.

 

Hinsichtlich der AOK-Karte:

2 I AsylbLG schließt jene vom Anspruch auf Leistungen aus, welche die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Tatbestandlich verlangt das Bundessozialgericht einen Missbrauchstatbestand (objektive Komponente) und ein Verschulden (subjektive Komponente).[15] Ob das Kirchenasyl hierunter fällt, ist strittig.[16] Einerseits lässt sich argumentieren, dass ein „Selbst beeinflusst haben“ einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Person und ihrem Aufenthalt verlangt. Besteht also für den Staat die Möglichkeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen, er tut dies aber nicht, können Leistungen nicht versagt werden.[17] Übertragen auf das Kirchenasyl dürfte man demnach im Falle des „offenen Kirchenasyls“ keinen Nachteil davontragen, da der Staat den Aufenthalt gerade faktisch duldet.[18] Andererseits könnte es auch sein, dass sich der Leistungsberechtigte ganz bewusst in Kirchenasyl begibt, um vorsätzlich die staatliche Anerkennung von Kirchenasyl auszunutzen und bewusst ein faktisches Abschiebungshindernis zu schaffen.[19] In diesem Fall würde man wohl in den meisten Fällen von einem Rechtsmissbrauch ausgehen können.

Im Ergebnis lässt sich demnach sagen, dass in solchen Entscheidungen im Bezug auf Kirchenasyl unter Beachtung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dennoch immer die Umstände des Einzelfalls zu betrachten sind.

Zumindest besteht hier die Möglichkeit, dass sich das Kirchenasyl in diesen Fällen nachteilig auswirken könnte. Darüber hinaus wird der Behörde contra legem grundsätzlich ein gewisses Ermessen eingeräumt, was Art und Form der Analogleistung angeht.[20] Was sonstige Leistungen angeht, ist nach § 6 I AsylbLG gesetzlich ein Ermessen vorgesehen („können […] gewährt werden.“) Dementsprechend können hier in die gleichen Erwägungen wie bei der Arbeitserlaubnis (s.o.) in Abwägung gestellt werden, sodass das Kirchenasyl die Ermessensentscheidung der Behörde dahingehend beeinflussen könnte, dass eine spezielle Art und Form der Leistung gewählt wird bzw. dass eine AOK-Karte erst gar (nicht) erteilt wird.

Nach der Wartezeit (18 Monate) betreuen die gesetzlichen Krankenkassen die Asylbewerber auftragsweise nach § 264 II SGB V.[21] Hier könnten die länderspezifischen Vereinbarungen zwischen dem Freistaat Bayern und bspw. der AOK eine Rolle spielen. Vielleicht kann eine elektronische Karte nur unter gewissen Bedingungen erteilt werden, vorbehaltlich natürlich den Regelungen des AsylbLG, aber innerhalb des Ermessens der kommunalen Leistungsträger.

 

Können wir als Beratende Kirchenasyl vermitteln und dürfen wir das?

Grundsätzlich kann Kirchenasyl vermittelt werden. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass das Kirchenasyl nicht als eine Art „Auffangtatbestand“ für Asylbewerber fungieren kann, denen aufgrund des Dublin-Systems eine Abschiebung droht – dafür fehlen auch der Kirche die Ressourcen. Denkbar ist das Kirchenasyl daher nur in besonderen Härtefällen, vor allem Familien oder Müttern mit Kindern, Krankheitsfällen und bei drohender Abschiebung in besonders unwirtschaftliche Verhältnisse.

Dies liegt mitunter an dem hohen Aufwand, den das Gewähren von Kirchenasyl mit sich bringt. Die betreffende Person darf schließlich – vermutlich über Monate hinweg – das Gebäude nicht verlassen; es müssen sich folglich Freiwillige finden, die bereits sind, täglich mit den Betroffenen zu interagieren, sich um sie zu kümmern und Unterkunft zu gewährleisten.

Eine eigene Strafbarkeit muss nicht befürchtet werden; auch ein Beihilfetatbestand nicht.

In Deutschland wurde 2019 zum ersten Mal ein Strafverfahren gegen einen Pfarrer eingeleitet, der in Immenstadt einem jungen Afghanen Kirchenasyl gewährt hatte. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt; der Fall erlangte große mediale Aufmerksamkeit. Betont wurde dabei, dass es sich um einen Einzelfall handle und nicht um eine Grundsatzentscheidung – es sollte also gerade nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Gewähren von Kirchenasyl strafrechtlich relevant sei. Vielmehr wurde einzelfallbezogen die Art und Weise, in welcher das Kirchenasyl konkret organisiert wurde, untersucht. Auch das Verfahren gegen den Afghanen selbst wurde in dem Zuge eingestellt.

Ob das Gewähren von Kirchenasyl strafbar ist, ist – wenn überhaupt – strittig. In der Praxis scheiterten die wenigen Strafverfahren bis jetzt an der Geringfügigkeit, wenn überhaupt welche eingeleitet wurden. Während allerdings schon Zweifel daran bestehen, ob das Gewähren von Kirchenasyl strafbar ist, wird die Strafbarkeit der Vermittlung abgelehnt.

Bei einer Beratung ist es also komplett unbedenklich, den Mandanten oder die Mandantin auf die Existenz und Möglichkeit von Kirchenasyl aufmerksam zu machen (die Anfrage kommt auch oft von ihnen selbst).

 

[Hierbei handelt es sich um eine Recherche von Julian Staudenmayer.]

 

[1] Marx, Aufenthalts-, Asyl-, und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 5 Humanitäre Migration und Flüchtlingsrecht, Rn. 192.

[2] Will, Sachs GG-Kommentar, 9.Auflage, 2021, Art.16a, Rn.1e

[3]  Vgl: Larsen, Kirchenasyl und Verfassungsstaat, ZAR 2017, Hef t 3, S.121-125

[4] Marx, Aufenthalts-, Asyl-, und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 5 Humanitäre Migration und Flüchtlingsrecht, Rn. 192.

[5] Krannich, Das Kirchenasyl. Eine empirische Studie zu den Auswirkungen auf das Gemeindeleben, 2011, S.34

[6] EuGH NJOZ 2019, 1063, Rn.56/70

[7] Vgl: EuGH NJOZ 2019, 1063, Rn.60

[8] EuGH NJOZ 2019, 1063, Rn.56/70

[9] BVerwG 1 C 42/20, juris, Rn.26

[10] BVerwG 1 C 42/20, juris, Rn.26

[11] BayVGH 14 B 19.50010, juris, Rn.20

[12] Bergmann, Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, AsylG § 61 Erwerbstätigkeit, Rn. 3-6.

[13] Neundorf,  , Kluth/Heusch, 28. Edition, Stand 01.01.2021, AsylgG § 61 Erwerbstätigkeit, Rn. 27-28.

[14] VG München, Urteil vom 5.4. 2017 – 9 K 17.254, BeckRS 2017, 108887, Rn. 35.

[15] BSG NVwZ-RR 2009, 243 (246)

[16] Deutscher Bundestag, Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz und Kirchenasyl, 5. Oktober 2018, WD 6 – 3000 – 086/18, S. 17.

[17] Leopold, Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7.Auflage, 2020, §2 AsylbLG, Rn. 24.

[18] Hessisches Landessozialgericht                 L 4 AY 5/20 B ER, juris, Rn.29-36.

[19] SG Lüneburg, Urteil vom 22.02.2018 – S 26 AY 26/17, BeckRS 2018, 3901, Rn. 22.

[20] https://www.gkv-spitzenverband.de/presse/themen/fluechtlinge_asylbewerber/fluechtlinge.jsp, zuletzt aufgerufen am 31. 03. 21.

[21] Ebd.