Allgemein
Dass die Wohnung in Art. 13 I GG verfassungsrechtlich geschützt wird, ist bekannt. Unter dem Begriff der Wohnung wird dabei jeder Raum verstanden, welcher der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen und zur Stätte des privaten Lebens gemacht worden ist. Geschützt sind daher nicht nur nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Mietwohnung, sondern Hotel- und Gastzimmer, Obdachlosenunterkünfte, nicht jedoch Hafträume.[1]
Höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob eine Gemeinschafts- oder Erstunterkunft eine „Wohnung“ im Sinne des Art. 13 GG darstellt, scheint derzeit noch nicht vorzuliegen. Allerdings bestätigte im Februar 2022 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Rahmen einer Klage gegen eine Hausordnung einer solchen Unterkunft, dass es sich bei Erstaufnahmeeinrichtungen um Wohnungen handelt.[2]
Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Wohnung handelt, wenn der Bewohner oder die Bewohnerin dort einen privaten Rückzugsort findet. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Anzahl der Personen in einem Zimmer, die Größe der Unterkunft, die Nutzung (bspw. als Schlafraum) und das Verhältnis der dort lebenden Personen untereinander. Der Einstufung als „Wohnung“ sollte dabei übrigens nicht entgegenstehen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Unterkunft grundsätzlich nicht freiwillig beziehen, sondern dort zugewiesen werden.[3]
Eingriffe – vor allem Durchsuchungen – sind nach Maßgabe des Art. 13 GG im allgemeinen nur bei richterlicher Anordnung zulässig; inwiefern dieser richterliche Vorbehalt in der Praxis häufig umgangen wird, wird im nächsten Abschnitt beschrieben.
Schutz
Vorfälle, in denen Polizisten oder Mitarbeiter der Unterkunft ohne Erlaubnis das Zimmer betreten, scheinen in Gemeinschafts- und Erstunterkünften keine Seltenheit zu sein. Welche Rechte kann also jemand gelten machen und wie kann man jemanden unterstützen, wenn ein solcher Vorfall aufgetreten ist?
Kontrollen des Zimmers in Abwesenheit seiner Bewohnerinnen und Bewohner ohne richterliche Anordnungen sind grundsätzlich nur bei Gefahr im Verzug möglich; dann muss ein Schreiben mit einer Nennung der das Zimmer betretenden Personen sowie der Grund dafür im Zimmer hinterlassen werden.[4]
In der Praxis regeln die Hausordnungen der jeweiligen Unterkünfte die Befugnisse der Sicherheitsdienste und Mitarbeiter. Das oben genannte Urteil bestätigte allerdings auch, dass der Staat auch hier an die Grundrechte gebunden ist, sodass weitreichende Grundrechtseingriffe in Hausordnungen rechtswidrig sind. Im konkreten Fall hatten sechs Bewohner einer Erstaufnahmeeinrichtung, unterstützt durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte, der Aktion Bleiberecht Freiburg, PRO ASYL und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, einen Normenkontrollantrag gegen eine solche Hausordnung eingereicht.
Möchte man also jemanden diesbezüglich unterstützen, erscheint es sinnvoll, sich zunächst mit der Hausordnung der jeweiligen Unterkunft vertraut zu machen. Regelungen, nach denen die Sicherheitsdiente z.B. befugt sind, jederzeit – auch nachts – und gegen den Willen der Bewohnerinnen und Bewohner deren Schlafzimmer zu betreten, sind nach dem Urteil rechtswidrig. Auch wenn in Erstaufnahmeeinrichtungen mit größeren Einschränkungen gerechnet werden muss als in einer Mietwohnung, sind solche weitreichenden Eingriffe nicht mehr gerechtfertigt.[5]
Auch die Praxis der Polizei, bei vorzunehmenden Abschiebungen ohne richterlichen Beschluss in Wohnungen einzudringen, ist nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin rechtswidrig.[6]
Im Rahmen einer Beratung muss also zunächst festgestellt werden, wer – bspw. Sicherheitsdienst oder Polizei – das Zimmer betreten hat, und auf welche Rechtsgrundlage sich jene berufen. Dann kann anhand der bisherigen Rechtsprechung abgewogen werden, welche rechtlichen Mittel für die Mandantin oder den Mandanten infrage kommen und erfolgsversprechend sind – ggf. ist ein Anwalt zu konsultieren.
Weitere Quellen zum Nachlesen:
Engler in Asylmagazin 5/2018, „Hausverbote in Flüchtlingsunterkünften“
Zölls in ZAR 2/2018, „Die polizeiliche Betretungsbefugnis von Asylbewerberunterkünften nach Art. 23 III Nr. 3 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz
Vgl. ebenfalls https://www.nd-aktuell.de/artikel/1152459.hausordnungen-in-fluechtlingsheimen-grundrechte-an-der-tuer-abzugeben.html, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023, zu der Lage in Sachsen – hier ging das Innenministerium davon aus, dass es sich bei Flüchtlingsunterkünften gerade nicht um eine „Wohnung“ im Sinne des Art. 13 GG handelte, und verhängte in einer „Musterhausordnung“ für Unterkünfte sogar Strafen bei Verstoß
Und weitere Infos auch unter https://www.labournet.de/interventionen/asyl/asylrecht/ausweisung/lagerhaltung/grundrechtswidrige-hausordnungen-in-gefluechteten-unterkuenften-vier-freiburger-fluechtlinge-klagen/, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023, mit Fokus auf Klauseln, die den Geflüchteten das Mitbringen bestimmter Gegenstände in die Unterkünfte verbieten.
[1] https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/AM2003-01-06-Hollmann.pdf, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023.
[2] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022, Az. 12 S 4089/20.
[3] https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/AM2003-01-06-Hollmann.pdf, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023.
[4] https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/Grundrecht_Unverletzlichkeit_der_Wohnung_in_Fluechtlingsunterkuenften.pdf, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023.
[5] Zu einer Zusammenfassung des Urteils: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/vgh-baden-wuerttemberg-12-s-4089-20-zimmer-asyl-wohnung-grundgesetz/, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023.
[6] https://taz.de/Gerichtsurteil-zu-Abschiebungen/!5804409/, zuletzt aufgerufen am 08. April 2023.